Jedes Jahr zur Brutzeit häufen sich Fundmeldungen über scheinbar hilflose Jungvögel und andere Tierkinder, die aus dem Nest gefallen sind und von unzureichend informierten Spaziergängern
mitgenommen werden. Dabei gilt: Wer auf einen einsam und hilflos wirkenden Jungvogel trifft sollte das Tier auf
keinen Fall gleich aufnehmen, sondern es an Ort und Stelle belassen.
Der Schein trügt häufig, denn die Jungen vieler Vogelarten verlassen ihr Nest bereits, bevor ihr Gefieder vollständig ausgebildet ist. Wichtig ist, dass der Finder eines „aus dem Nest gefallenen“
Jungvogels besonnen die Situation beurteilt und sich möglichst fachkundigen
Rat einholt, bevor er handelt. Meist handelt es sich nicht um Waisen, sondern um fast flugfähige Jungvögel mit relativ vollständigem Gefieder, die durch Bettelrufe noch
mit ihren Eltern in Verbindung stehen. Sobald der Mensch sich entfernt, können sich die Eltern wieder um ihre Kinder kümmern.
Wildtiere sind von Natur aus vielfältigen Gefahren ausgesetzt. Dies gilt ganz besonders für Jungtiere, die die Nahrungsgrundlage anderer Tiere sind. Oft kommen sie aber auch durch
Unerfahrenheit zu Schaden. In der Natur erreichen beispielsweise zumeist weniger als jeder Fünfte der jungen Sperlingsvögel eines Jahrgangs die Geschlechtsreife. Derartige Verluste werden
dadurch ausgeglichen, dass die meisten Kleinvögel mehrmals im Jahr brüten.
Zu den natürlichen Gefahren kommen in unserer technisierten, von Verkehrswegen zerschnittenen Welt vielfach menschengemachte Gefahren hinzu: Altvögel verunglücken auf Straßen, an
Überlandleitungen, geraten in Angelschnüre oder werden Opfer unserer Hauskatzen. Ihre Jungen bleiben hilflos zurück und verlassen hungrig ihr Nest. Hier ist, nicht zuletzt unter ethischen
Aspekten, menschliche Hilfe sinnvoll.
Die fast flügge Vogelbrut verteilt sich nach dem Verlassen des Nestes an verschiedene Stellen des Gartens oder Wäldchens. So können nur einzelne Tiere, und nicht die gesamte Brut auf einmal, von
natürlichen Feinden entdeckt werden. Dass es sich bei den Jungvögeln um wirklich verwaiste und nicht um „Scheinwaisen“ handelt, kann man durch längeres – zwei bis drei Stunden
–, vorsichtiges
Beobachten aus einem Versteck, wie etwa hinter einer Fenstergardine, erkunden. Lediglich wenn Gefahr droht, wenn Jungtiere beispielsweise auf der Straße sitzen, sollte man eingreifen, die
Jungtiere wegtragen und an einem geschützten Ort, aber nicht zu weit vom Fundort wieder absetzen.
Auch Eulen verlassen oftmals als halbgroße Jungvögel die zu eng gewordene Brutstätte und sitzen bis zur Flugfähigkeit als
„Ästlinge“ im bodennahen Strauchwerk. Solange menschliche Beobachter, im Falle der nachtaktiven Eulen noch dazu zur falschen Tageszeit, sich in der Nähe der Jungtiere aufhalten, kehren die
Altvögel nicht zu diesen zurück. Wer einen solchen kräftig wirkenden „Scheinwaisen“ findet, sollte ihn am besten in Ruhe lassen oder erforderlichenfalls an einen geschützten Ort, wie etwa eine
Hecke, umsetzen. Noch nackte Jungvögel sollten möglichst vorsichtig ins Nest zurückgesetzt werden. Vögel stören sich im Gegensatz zu manchen Säugetieren nicht am menschlichen Geruch. Jungvögel
werden daher auch nach
dem Umsetzen wieder von den Alttieren angenommen und versorgt.
Keine Regel ohne Ausnahme: Bei sommerlichen Hitzewellen kommt es vor, dass vermehrt junge Mauersegler gefunden werden. Weil Mauersegler vor allem in hohen Gebäuden unter Dächern und in exponierten Nistkästen brüten, erhitzen sich ihre Nistquartiere mitunter auf 60 bis 80 Grad Celsius. Auf der Suche nach Abkühlung am luftigen Nesteingang stürzen dann immer wieder Jungtiere ab und bleiben hilflos am Boden liegen. Selbst wenn sie den Sturz unverletzt überstehen, sind ihre Überlebenschancen leider gering. Denn im Gegensatz zu anderen Vogelarten füttern Mauersegler ihre Jungen nicht außerhalb des Nestes. Helfen lassen sich den Jungvögeln nur mit einer Handaufzucht, sie sollten deshalb in die professionelle Obhut einer Wildvogelstation gegeben werden.
Gemäß Bundesnaturschutzgesetz dürfen Jungvögel übrigens nur vorübergehend und nur dann aufgenommen werden, wenn sie verletzt oder krank, und somit tatsächlich hilflos sind. Jungvögel, die mit
nach Hause genommen werden, haben selbst bei fachgerechter Pflege deutlich schlechtere
Überlebenschancen als in der Natur. Die elterliche Fürsorge in der Naturaufzucht kann niemals ersetzt werden, so dass die Handaufzucht immer nur die zweitbeste Lösung ist. Nur bei deutlich
geschwächt wirkenden oder wirklich verwaisten Vögeln ist die Handaufzucht zu empfehlen, wie auch in Fällen, in denen durch Unwetter, Baumaßnahmen oder dergleichen der Nistplatz zerstört
ist.
Zur Gewährleistung der tiergerechten Aufzucht und auch zur Vermeidung der Gefahr der Fehlprägung auf den Menschen, welche eine spätere Wiederauswilderung nahezu unmöglich macht, sollten solche
Jungvögel nach Möglichkeit in eine anerkannte Auffangstation oder
Vogelpflegestation gebracht werden. Diese können bei den Gruppen des NABU, den Naturschutzbehörden der Landkreise und kreisfreien Städte, Zoologischen Gärten oder auch bei Tierärzten
oder Tierschutzvereinen erfragt werden.